Aus dem Leben des in Waldbröl geborenen berühmten Volksliedersammlers
Die erste Begegnung mit der Musik erfuhr ich durch meine Mutter. Sie hatte eine glockenreine Stimme und sang besonders schöne alte Volkslieder. Mein Vater hingegen war ein ausgezeichneter
Cellospieler. Die Söhne des Hofkommerzienrates Bertoldi waren die Schulgefährten meines Vaters gewesen. Diese Familie war reich und liebte die Musik, so dass in ihrem Hause häufig Konzerte stattfanden. Ich wurde bei einer solchen Veranstaltung auch gefragt, welches Instrument ich erlernen wollte. Ich entschied mich für die Trompete, was alle herzlich lachen ließ. Dabei dachte ich damals weniger an die Musik als an Kampf, Getöse und Krieg. Musik begegnete ich auch bei einem großen Volksfest in unserer Gegend:der Mülheimer Gottestracht. Am Vorabend der Schiffsprozession, die es auch heute noch gibt, erwarteten wir die Musiker, die in Booten von Bonn den Rhein abwärts alte Volksweisen spielten, denen Beethoven in seinem herrlichen Septett Dauer verliehen hat. Besonders gefielen mit die Trommeln und Pfeifchen sowie die Trompete, die über die Fluten hin schmetterte. Selbst die Bewohner des Oberbergischen kamen, um diese Schiffsprozession zu sehen. Mein Vater, der von Beruf zwar Jurist war, sich aber vielfältig für Kunst vor allem für die Musik interessierte, gründete 1812 in Burscheid ein Liebhaberorchester, das bis heute besteht. Er stellte für die Schulen in Schlebusch und Burscheid dann einen tüchtigen Musiklehrer an, der die Jugend musikalisch heranbilden sollte.
Ich hatte bis dahin vor allem Militärmusik gehört, die den marschierenden Truppen voranschritt. Am moisten Lärm schien mir die Klarinette zu machen, so dass mein Vater auf meinen Wunsch mich dieses Instrument lernen ließ. Gleichzeitig aber verlangte er, dass ich mich auch mit der Geige vertraut machte. Nach den üblichen Anfangsschwierigkeiten brachte ich es aber bald so weit, dass ich bei den wöchentlichen Orchesterproben je nach Bedarf unter den Bläsern oder den Streichern mitspielen durfte. Für das Orchester lernte ich dann auch noch das Cellospiel. Mein Vater richtete nun, um die Musik noch beliebter zu machen, Kirchenmusiken auf dem Lande ein, so dass an Festtagen Messen und Hymnen in unserer Kirche kunstgerecht gespielt und gesungen wurden. Dazu kamen auch viele Umwohner und Fremde herbei, so dass es oft zu einem regelrechten Gedränge in der Kirche kam. Mein Vater schrieb sogar selbst eine Messe für ein solches Kirchenfest. Auch meine Spielkameraden machten Fortschritte in der Musik. Bezeichnenderweise fühlte sich aber niemand zum Klavier hingezogen, den die schlechten Rumpelkästen, die es damals bei uns gab, konnten weder Lust noch Liebe zu diesem Instrument erwecken. Als ich später auf dem Gymnasium in Köln war, kamen meine Spielkünste auf der Klarinette meinen Freunden dort sehr gelegen. In der ersten Mainacht spielte man nämlich unter den Fenstern junger Mädchen ein Ständchen und setzte ihnen einen Maibaum als Zeichen der Verehrung. Nachdem wir die ganze Nacht vor verschiedenen Häusern gespielt hatten, wollte man auch mir ein Ständchen vor dem Haus meiner Herzdame darbieten. Da ich damals noch nicht verliebt war, wählte ich kurzerhand das Stift der Ursulinerinnen. Die Nonnen werden sich sicher am nächsten Tag über den frommen Künstler gewundert haben. Auf dem Gymnasium ermunterte mich mein Deutschlehrer, den großen Liederschatz meiner Mutter aufzuschreiben und schon als eine Art Sammlung anzulegen. Als Student in Heidelberg lernte ich dann Professor Thibaut kennen, der in seinem Haus mit Sängern der Stadt und der Studenten Musikstücke aufführte, die er gesammelt und vor dem Vergessen gerettet hatte. Er sammelte auch Volkslieder, allerdings nur ausländische. Deutschland habe keine ansprechenden als die österreichischen Schnadahüpferl. Ich versicherte Thibaut, dass es in Deutschland, vor allem am Niederrhein, so schöne und tiefe Volkslieder gebe, dass alle übrigen davor verblassen würden. Um seinem Unglauben zu begegnen, ging ich nach Hause und schrieb alle Volkslieder auf, an die ich mich erinnern konnte. Wo mir Worte fehlten, ergänzte ich sie nach eigenem Gutdünken. Thibaut war erstaunt über die Innigkeit und die eigentümliche Tonart und bat mich, in Zukunft alles aufzuschreiben, was ich nur irgendwo erlauschen könne. Da ich vieles Unvollständige durch eigene, mir passend erscheinenden Worte verband, habe ich später, als sich diese Lieder durch den Thibaut’schen Verein verbreiteten, viel Tadel und Kritik erfahren, da man dachte, ich hätte alle diese Volkslieder, Melodie wie Worte, selbst gemacht.
Euer
A.W.F. von Zuccalmaglio